„Idylle“ scheint ein gleichmäßigeres Tempo als seine Vorgänger anzustreben. Doch der Schein trügt. Erst einmal sorgfältig eingelullt, haut es dem Hörer dessen ganz individuelle Filterblase mit Schmackes um die Ohren. Alltagsbeobachtungen fungieren als Input, hier offensichtlicher denn je und immerzu beim Namen genannt. Es mangelt nicht an offener Kritik, auch wenn sie leichtfüßig und gar ironisch angehaucht gesungen daherkommt und sich im humorvollen Gewand der alltäglichen Beklopptheiten nicht immer sofort als solche zu erkennen gibt.
Wenn Indie von Independent kommt, dann setzen Heisskalt hier neue Maßstäbe. Oder sie machen schlichtweg, was sie wollen. Einige Bands sagten über ihre letzte Veröffentlichung, sie sei ihre ehrlichste. Bei keiner stellte sich dieses Gefühl beim Hören ein. Während „Idylle“ Runde um Runde dreht, manifestiert sich dafür umso stärker die Überzeugung, jedes Wort ist da, wo es sein soll und jeder Vers sagt exakt, was er sagen soll. Und auch nicht. Besonders deutlich wird das zu Beginn des Albums in „Bürgerliche Herkunft“ und noch stärker in „Wiederhaben“.
„Idylle“ ist zweischneidig: genauso wie maximal durchdacht, wirkt es streckenweise so, als singe Mathias schlichtweg das, was ihm als erstes über die Lippen purzelt. „Idylle“ treibt die Lemminge über die Klippe, um sie unten in mütterlicher Fürsorglichkeit mit Wolldecken und Milchfläschchen aufzufangen. Das liegt auch daran, dass die simplen, aber sensibelsten Zeilen wie „halt mich fest“ („Fest“) auf markerschütterndste Weise geschrien werden und kalte Schauer den Rücken hinab jagen, während Phrasen wie „an manchen Tagen fließt das Blut der Schweine bis auf die Straßen hinaus“ (ebenda) seicht gesäuselt eingereiht werden. „Idylle“ umfasst nur neun Songs, aber ob mehr davon die Grenzen des Erträglichen überschreiten oder überwinden würden, bleibt fraglich.
Und letztlich bleibt das Gefühl, dass dieses Album völlig unantastbar, ist, weil es sich selbst alles nimmt und vorwirft, den Finger aus sich heraus auf sich selbst richtet und sprichwörtlich von hinten durch die Brust ins Auge steckt, um den Balken zu entfernt, um sich zu entkernen, sich nackt zu machen. Das, was übriggeblieben ist, wird auf musikalisch spürbar entschlacktem Silbertablett mit komödiantischer Verbeugung possierlich serviert.
Heisskalt werden ihrem Namen mit diesem Album mehr als gerecht. Alle Widersinnigkeiten sinnstiftend instrumentalisiert, alle Widersprüche zusammengetäut, alle Erwartungen entweder enttäuscht und begeisternd übertroffen. Heisskalts drittes Studioalbum polarisiert, wühlt auf und bringt einen schnell um den Schlaf. Besonders für Anhänger von „Vom Stehen und Fallen“ wird sich die Frage nach „Warum nur?!“ vielleicht nie zufriedenstellend beantworten lassen. Denn auch wenn die fast ausnahmslose Eigenregie, in der dieses Album und alles drumherum entstand und veröffentlicht wurde, sowie die beispiellose Attitüde, die überdeutlich mitschwingt, als Erklärung hinlänglich taugen, machen sie die musikalischen Abstriche – mancher wird sagen Defizite – nicht wett.